Arbeiterbewegung in Postmoor (2)

SPD in Postmoor

Mein Vater, Johann Feindt, ist am 10. Januar 1910 dem „Sozialdemokratischen Verein für den 17. hannoverschen Wahlkreis“ als Mitglied beigetreten und hat der SPD bis zu seinem Lebensende angehört. Postmoor war immer aktiv in der Arbeiterbewegung vertreten. Lt. Protokoll des Ortsvereins Buxtehude vom 30.09.1909 wurde erwähnt, daß es zwar noch nicht gelungen sei, in Horneburg einen eigenen Ortsverein zu gründen, die dortigen Sozialdemokraten aber doch aktiv seien. Als sozialdemokratische Tageszeitung wurde das „Volksblatt für die Unterelbe“ verteilt.

Aus der Horneburger Zeitung vom 27.06.1895 ist zu lesen: Ueber 30 Arbeiter aus Bliedersdorf und Postmoor haben die Arbeit bei den Erdarbeiten an der Bahn gegenüber dem Bahnhofsgebäude niedergelegt. Grund ist: Lohn-Mehrforderung.

Nach dem 2. Weltkrieg las man in Postmoor in vielen Häusern das „Hamburger Echo“. Ich selbst hatte es jahrelang abonniert. Wilhelm Grewe und andere aus Postmoor haben es bis zur ihrer Einstellung gelesen.

Wiederholung einer Wahl

Die Sozialdemokraten hatten ihre Vorschlagsliste zur Gemeindewahl am 23. Februar 1919 nicht rechtzeitig eingereicht und konnten daher nicht kandidieren. Um dennoch an der Wahl aktiv teilnehmen zu können, mußten sie sich etwas einfallen lassen, um die Wahl zunächst verhindern zu können. Und so erkundigten sie sich in Stade, was sie wohl machen könnten. Von Stimmenthaltung, -nur weiße Stimmzettel abgeben-, wurde geraten. Nun, das hätte auch nicht viel gebracht; denn sie würden wohl kaum über eine Mehrheit verfügen Sie mußten also ein Schlupfloch in der Wahlordnung finden, aber wie?

Da kam Johann Winkelmann auf die glorreiche Idee und stellte fest, daß die Wahlurne wohl nicht die vorgeschriebenen Maße ausweisen würde. Und so gingen sie dann mit einem Zollstock bewappnet und beanstandeten mit Erfolg die Ordnungswidrigkeit. Die Wahl wurde wiederholt, und die Sozialdemokraten kamen zu ihrem Recht. Gemeindevorsteher Elmers soll zu seinen Freunden gesagt haben: „De Bröder finnt schon wat, dat se wählt warn künnt“! Auf Anordnung des Herrn Landrates wurde die Wahl für ungültig erklärt, weil die Wahlvorschriften nicht eingehalten worden sind. Für die Neuwahl der Gemeindevertretung wurde der 01.06.1919 festgesetzt. Bei dieser Wahl wurden u. a. Jakob Bohlmann und Ludwig Reindel aus Postmoor gewählt.




(Aufruf zur Maifeier. HORNEBURGER ZEITUNG v. 29. April 1922)

 

Arbeitergesangverein „Treue“

Mein Vater war Mitbegründer des 1912 ins Leben gerufenen Arbeitergesangsvereins „Treue“. Während des 1. Weltkrieges konnten die Sänger nicht aktiv sein. Erst nach dem Krieg , am 06.08.1922, wurde der Verein bei Gastwirt Hinrich Stubbe. Lange Straße wieder neu belebt. In der Mitgliederversammlung am 06.07.1923 (Inflation) wurde der Beitrag auf monatlich 1000 M angehoben.

Am 14.06.1925 fand in einer großen feierlichen Veranstaltung die Fahnenweihe für die neu beschaffte Vereinsfahne statt. Zahlreiche Gesangvereine aus der Umgebung nahmen daran teil. Die Fahne trägt die Inschrift „Arbeitergesangverein Treue Horneburg„. Mit allem Zubehör mußten 400 M aufgebracht werden. Nach dem Krieg war die Fahne als Kriegsbeute vorübergehend in England gelandet. Postmoorer waren in diesem Gesangverein stark vertreten. Zu den Mitgliedern aus Postmoor zählten Jakob Bohlmann, Johann und Johannes Feindt, Walter Nuske und Ludwig Reindel mit Sohn. Mein Vater war bis zu seinem Ableben im Jahre 1952 Ehrenmitglied dieses Sängervereins.

Politische Auseinandersetzung
vor 1933

24.02.1924 Gründung des Kampfbundes >Reichsbanner Schwarz - Rot - Gold< in Deutschland

Noch im gleichen Jahr wurde auch in Horneburg, wie an vielen Orten, das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ und damit eine Organisation zum Schutz gegen die Feinde der Republik von links und rechts geschaffen. Die Horneburger Ortsgruppe zählte 75 Mitglieder; sein erster Vorsitzender war Hinrich Minck. Als Kreisführer fungierte Lehrer Wilhelm Sietas, Stade. W. Sietas war der Schwager von Johannes Brüggmann aus Postmoor. In Horneburg hatte das Reichsbanner einen 20 Mann umfassendes Trommel- und Pfeifenkorps. Da mein Bruder Johannes den Musikerberuf erlernt hatte, war er als Ausbilder für dieses Korps gut geeignet.



Trommler- und Pfeifenkorps des Horneburger „Reichsbanners“
Stehend von l nach r: Johs. Feindt, Johs. Dähnke, Hinrich Richters, Willi Koch, Hermann Böhn, Fritz Mehrkens,
 Otto (?), Hermann Saul, Hini Müller. Liegend: Hans Böhn und Heinrich Robohm.

 

Arbeiterbewegung im Widerstand

Reichsbanner, Arbeitervereine und andere republikanische Verbände schlossen sich 1931/32 zur „Eisernen Front“ zusammen, um sich gegen die s. g. „Harzburger Front“ (NSDAP und Deutschnationale) zu verteidigen.

Eiserne Front!

Wir weihen, was wir schmieden
der Freiheit und dem Frieden,
dem Recht der breiten Massen,
die wir nicht schutzlos lassen!
                                               Paul Löbe

Am 11.02.1933 rief die „Eiserne Front“ die Bevölkerung in Stade und Umgebung zu einer „großen Demonstration für Freiheit und gegen Knechtschaft“ auf. Nach dem Demonstrations- und Fackelumzug in Stade sprach der Kreisvorsitzende des Reichsbanners, Wilhelm Sietas. Noch im gleichen Jahr wurde Sietas aus dem Schuldienst entlassen und in „Schutzhaft“ genommen. Schwere Zeiten brachen für ihn und seine Familie herein. Er zog mit seiner Familie nach Hamburg und betrieb dort ein Tabakwarengeschäft. Mit Postmoor pflegte er neben seiner Verwandtschaft enge Kontakte zu seinen früheren Genossen, insbesondere mit Zigarrenmacher Ludwig Reindel, mit dem er auch geschäftlich zu tun hatte. Anfang 1945 ist er als Offizier in Breslau gefallen; in einem Krieg, den er kommen sah, aber leider nicht verhindern konnte! Bereits im März 1933 wurden Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die "Eiserne Front"von den Nazis verboten.

Machtergreifung durch Hitler

Die Folgen des verloren gegangenen ersten Weltkrieges, Inflation, Weltwirtschaftskrise und über sechs Millionen Arbeitslose in Deutschland, brachten Adolf Hitler 1933 an die Macht.

Im Herbst 1933 führten die Nazis noch eine Volksbefragung durch, man konnte sich mit Ja oder Nein zur Reichsregierung bekennen.

In Bliedersdorf sollen angeblich von 355 Wahlberechtigten 302 mit „Ja“ und 32 mit „Nein“ gestimmt haben. Ernst Steffens hat mir einmal erzählt, daß sein Vater, Bürgermeister Johann Steffens, das richtige Ergebnis gekannt hätte.

Die politischen Ereignisse überstürzten sich; Reichs- und Landtag wurden aufgelöst. Bei der Kommunalwahl am 12. März 1933 kandidierten die Sozialdemokraten auf der Liste „Dietrich Ropers“. Dieser gewählte Gemeinderat wurde von den Nazis bereits am 04.10.1934 wieder aufgelöst und gemäß „Führerprinzip“ durch den vom Landrat berufenen Gemeindeältesten ersetzt. Ludwig Reindel, Zigarrenmacher aus Postmoor und Christoph Schmidt wurden von der weiteren Ratsarbeit ausgeschlossen.

Der Hitlergruß


Schon im Juli 1933 wird der "Hitlergruß" zum "Deutschen Gruß" für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingeführt. Mithin galt die Ausführung dieser Anordnung für alle Lehrer und Schüler zur vorgeschriebenen Pflichtübung!" Da Lehrer, besonders auf dem Lande, als Autoritäten angesehen worden sind, hatten diese eine Vorbildfunktion, um den Hitlergruß zum Durchbruch zu verhelfen. So durften meine Eltern erleben, als eine hiesige Bürgerin mit dem alltäglichen Gruß "Gooden Dag" ins Haus trat, plötzlich aber bemerkte, dass "Köster (Lehrer) Müller" auch gerade anwesend war, sofort den Gruß "Heil Hitler" hinterherschickte. "Heil Hitler" hieß es nicht nur zu jeder Tageszeit, nein, auch im Schriftverkehr hatte jeder Brief mit dieser Grußform zu enden!

Ich erinnere mich auch noch ganz genau, als eines Morgens der Briefträger bei meinen Eltern die Post zustellte und er mit einem kräftigen "Heil Hitler" meine Eltern begrüßte. Mein Vater, kein Freund von Hitler, antwortete mit einem schlichten "Moin". Daraufhin versicherte der Briefträger unserem alten Herrn, "auch dir werde ich noch den Hitlergruß beibringen". "Ja, ja, soweit wird es noch kommen; wir werden noch vor jedem Briefträger stramm stehen müssen", war die provozierende Antwort meines Vaters. Meine Mutter hatte Angst um ihren Mann, dass er zu offen zeigte, dass er gegen Hitler eingestellt war.

Ein weiterer Vorfall sollte ihm fast zum Verhängnis werden. Als Kohlenhändler gehörte er dem Vorstand des Kohlenhändlerverbandes in Stade an. Bei einer besonderen Veranstaltung des Verbandes wurde die Nationalhymne gesungen, hierzu gehörte auch das Horst-Wessellied "die Fahne hoch" usw. Beim Absingen dieses Liedes hatte man die rechte Hand zum Hitlergruß zu erheben. Da mein Vater diesen Gruß nicht erweisen wollte, verließ er die Veranstaltung und ging austreten. Linientreue Parteigenossen hielten es für eine Provokation und wollten es nicht durchgehen lassen. Vorstandsfreunde bezeugten allerdings einmütig seine Beteuerung, dass ihm unwohl geworden sei. Gott sei Dank, das hätte auch ins Auge gehen können!

Im zweiten Weltkrieg wurde der Nazi-Ruf " Sieg Heil" zusätzlich zum Grußwort erhoben.

Die lustige Ausfahrt mit bösen Folgen!

Es war kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis, als sich Sangesbrüder des Arbeitergesangvereins „Treue“ mit ihren Frauen zu einem Ausflug nach Vierlanden aufmachten. Viele Postmoorer waren mit von der Partie. Sie mieteten sich den Motorkutter „Heinz“ von dem Schiffer Hinrich Riggers aus Neuenkirchen. Mit dem Fahrrad radelten die ca. 70 Teilnehmer frühmorgens am 20.08.1933 nach Mittelnkirchen, wo sie in bester Stimmung und bei herrlichem Sommerwetter an Bord gingen.

Mit lustigen Weisen auf dem Schifferklavier, begleitet von seinem Vater mit Trompete unterhielt Ludwig Reindel aus Postmoor die muntere Gesellschaft. Elbaufwärts in Richtung Hamburg, vorbei an Blankenese ging die lustige Fahrt in Richtung Zielort. Kurz vor Altona beim Kühlhaus Union, gegenüber Köhlbrand, erspähten sie ein französisches Kanonenboot, das dort an der Kai festge-macht hatte.

Wie von einer höheren Eingebung schmetterte Ludwig Reindel dem Schiff mit seiner Trompete die Marseillaise, die frz. Nationalhymne, entgegen. Und im Nu, wie ein Wunder, hißte die Besatzung die Trikolore und stand dann in einer Reihe angetreten an Bord, vorneweg salutierte der Kapitän den langsam vorbeifahrenden Ausflugsdampfer. Welch ein Gefühl, was für eine Freude und Gejuche!; Winken und lautes Rufen war der Gegengruß für diese große Ehre. Aber nur von kurzer Dauer sollte dieses Erlebnis sein, was war geschehen? Ein Stahlhelmmann hatte dieses Schauspiel beobachtet und den Vorfall gemeldet.

Plötzlich eskortierten zwei Polizeiboote auf beiden Seiten den Ausflugsdampfer. Die Stimmung schlug von Minute zu Minute ins Gegenteil um, alle machten entsetzte Gesichter. Es ging direkt aufs Polizeirevier, Personalkontrolle und Vernehmungen am laufenden Band. Konspirative Absichten wurden vermutet, obwohl sich keiner einer Verschwörung schuldig fühlte.

Nach langer Wartezeit durfte der größte Teil das Revier wieder verlassen. Nur die s. g. neun Rädelsführer, der Trompeter Reindel, der Vorstand, der Schiffseigner mit seinem Schiffer Peter Feindt wurden verhaftet. Das Schiff wurde an die Kette gelegt und beschlagnahmt. Reindel hatte große Last, den Unterschied zwischen der Internationale und der französischen Nationalhymne klarzumachen. Von morgens 6 Uhr bis gegen Abend wurden sie alle einzeln vernommen.

Die bisher schon Heimgekehrten hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Verhafteten freizubekommen, mit Erfolg. Mit großem Bahnhof wurden sie in Horneburg empfangen. Sogar die Presse im Ausland hat von diesem lächerlichen, aber amüsanten Vorfall berichtet. Der Trompeter von Postmoor, Ludwig Reindel mußte wegen groben Unfugs 100 RM Strafe zahlen, die aber solidarisch getragen worden sind. Die schöne Ausfahrt hatte durch diesen unguten Vorfall je ein frühes Ende genommen. Ein trauriger aber erlebnisreicher Tag in der Geschichte der alten Solidargemeinschaft.

Trompeter von Postmoor
Ludwig Reindel

Nachkriegszeit

Nach dem Zusammenbruch des Hitlerreiches mit all seinen katastrophalen Folgen galt es, die Wunden zu heilen und alle Kraft in den Dienst des Wiederaufbaues zu stellen. Für die Gemeindevertretung wurden von der Militärregierung unbescholtene Bürger zur Bildung eines Gemeinderates berufen.

Unter den 13 Männern der ersten Stunde wurden auch die beiden Postmoorer: Johannes Feindt, *10. 03. 1904 und Wilhelm Winkelmann, * 09.04.1908 delegiert. Am 15. Sept. 1946 fand bereits die erste freie und direkte Wahl von Vertretern in der Gemeinde Bliedersdorf statt. Neben der SPD kandidierten damals noch Vertreter der NLP -Niedersächsische Landespartei -, die s. g. Welfen.


  Nächster Artikel: "Auswanderung" Vorheriger Artikel: "Arbeiterbewegung (1)"
This document maintained by info@postmoor.de
Material Copyright © 1995 - 2013 Hans-Jürgen Feindt